Vom Verlassenwerden #no.5

Verlassen werden ist etwas, dass mir schon ewig nach hängt. Erfährt man als Kind Situationen in denen man sich verlassen fühlt gibt es mehrere Möglichkeiten, etwas daraus zu machen: man hinterfragt viel, erkennt seine Gefühle, fühlt sich geborgen und arbeitet sie vielleicht an falschen Personen ab. Oder: man ist wütend und traurig, lässt seinen Gefühlen freie Bahn und verwirklicht sich in der Welt in denen man eigene Fußstapfen hinterlässt klar und deutlich, voller (ungerechter) Emotionen. Die Wut eines verlassenen Kindes ist schlimmer als jeder Orkan, es kann alles nieder metzeln in Sekunden.
Man kanns aber auch machen wie ich: man leidet anfangs gar nicht, irgendwann still und heimlich und dann wird man erwachsen und merkt wie es einen einholt. Mich hat das Verlassenwerden eingeholt. Diesmal nicht so still und heimlich, wie ich es gerne hätte sondern eher mit Pauken und Trompeten. Ein mir nahe stehender Mensch wendet sich anderen Dingen zu- er wendet sich nicht einmal von mir ab- und trotzdem habe ich das Gefühl dieses kleine Wesen zu sein, dass vor Türen steht, die geschlossen werden. Türen, die mich zurück lassen, zu bleiben und sich erst in Wochen, Monaten oder kindlichen Ewigkeiten wieder öffnen.
"Ich werde verlassen", immer wieder zieht es sich durch meine Biografie wie ein roter, langer, unendlich langer Faden. Zu Hause, Freundeskreise, Bezugspersonen in jedem dieser Bereiche kommt es zu Wechseln, Abschieden, Neuanfängen und trotzdem bleibt in mein Hirn gebrannt nur das eine, laute Gefühl: die Trennung.
Getrennt werden von einem Menschen den man liebt und das obwohl man selbst nie an dem Punkt des Abschieds war oder ihn je in Erwägung zog, würde ich zu den schlimmsten Gefühlen zählen, dessen Wunden Narben auf meiner Haut hinterlassen hat. So oft wurde die Tür versperrt ohne, dass für mich klar abzusehen war wieso, weshalb und für wie lang. Immer wieder öffnete ich meine Tore, riss meine Mauern nieder, gewährte Einlass in meine Welt und erfuhr dann, dass es falsche Menschen waren. Menschen, die nahmen, lebten, sich vergnügten und dann zum Schluss- richtig! Verließen.
Ich habe nach vielen Gedankenkreiseln begriffen- zumindest rein theoretisch, dass ich dieses Mal nicht verlassen werde und nicht wirklich ganz verlassen werden kann solange ich mich selbst habe. Aber meine Gefühle fahren seither jeden Tag Achterbahn. Die Bilder in meinem Kopf wenn ich mich an früher erinnere, füllen meine Brust mit Schmerz den ich längst vergessen hatte. In Momenten, wie diesem vor ein paar Tagen, bin ich so unendlich froh in Therapie zu sein. Fünfzig Minuten in denen ich mich sortieren, abarbeiten und aufklären kann. Fünfzig Minuten die nur mir gehören und meinem inneren Kind, dass vor Schmerzen schreit. Nicht wie damals, damals war es viel zu still. Das Balancieren zwischen meinem Erwachsenen- Ich und meinem inneren Kind fordert mich so intensiv, dass ich 24/7 im Bett verweilen will bis sich der Sturm gelegt hat. Es fühlt sich ironischer Weise fast so an als würde ich mich selbst babysitten müssen. Ich gehe zur Arbeit- das Kind weint. Ich habe kurze Atmenpausen- das Kind klopft an und meldet, dass es Aufmerksamkeit braucht. Ich schlafe- das Kind übernimmt und leitet Alpträume ein. Ich möchte ihm sagen: "Liebes kleines Wesen, ich höre dich. Du wirst gesehen. Es wird besser werden, hab nur Mut und gib mir etwas Zeit." und alles was ich tue ist es bei der Hand zu nehmen, den Kopf ein zuziehen und zu warten bis der Sturm vorbei ist.

"L."

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